Urban Tales: Isabell Eberlein - Isabell Eberlein lebt das Fahrrad 24/7. Für sie ist das Fahrrad nicht nur ein Fortbewegungs- sondern vielmehr ein urbanes Transformationsmittel.
24. Januar 2023

Urban Tales: Isabell Eberlein

Ein Porträt der Geschäftsführerin von "Velokonzept".

Isabell Eberlein lebt das Fahrrad 24/7. Für sie ist das Fahrrad nicht nur ein Fortbewegungs- sondern vielmehr ein urbanes Transformationsmittel. Zudem möchte sie die Lebensqualität in Städten unter allen Verkehrsteilnehmer:innen und Bewohner:innen verbessern.

Gemeinsam etwas bewirken

Ich bin Isabell Eberlein, ich bin 32 Jahre alt und Geschäftsführerin von „Velokonzept“. Ich habe mal Politikwissenschaft und nachhaltige Umweltpolitik studiert, aber ich würde mich eher als Mobilitätsberaterin oder Kuratorin bezeichnen. Ich versuche, Inhalte und Menschen zusammenzubringen, sodass wir etwas gemeinsam schaffen und bewegen können.

Politisches Fahrradfahren

Ich bezeichne mich gerne als politische Radfahrerin. Ich bin definitiv keine sportliche Radfahrerin, sondern eine urbane Radfahrerin. Für mich ist das Fahrrad nicht nur ein Verkehrsmittel, sondern es ist ein Vehikel der Transformation. Dafür möchte ich mich einsetzen. Es ist wohl das einzige Verkehrsmittel, für welches es eine sogenannte „Critical Mass“ gibt. Es kann auch für eine Fahrraddemonstration genutzt werden, ohne dass das Fahrrad als Element im Mittelpunkt steht.

In der Geschichte gab es bereits viele Fahrradbewegungen. Es war mal eine Massenbewegung und wir hatten sogar ganze Fahrradstädte. Ich glaube an das Empowerment des Fahrrades, das jede:r selbst erfahren kann.
Es hat aber auch jenseits der individuellen Ebene eine gesellschaftliche Komponente. So sieht man das auch in der Emanzipationsbewegung: Jede:r hat das Recht, Fahrrad zu fahren und kann sich damit seinen oder ihren Raum nehmen. Es gibt ja auch Regionen auf der Welt, wo das Fahrradfahren für einzelne Gruppen und im Speziellen für Frauen sogar verboten ist.
Es gibt z. B. diesen großartigen Film „Das Mädchen Wadjda“, in dem sie alles tut, um Fahrrad zu fahren. Das ist eine so tolle Geschichte. Oder z. B. das afghanische Radrenn-Team, das sich das Recht erkämpft hat, Fahrrad fahren zu dürfen.

Die Gründerin von „Velokonzept“, Ulrike Saade, hat mir mal erzählt, dass sie in den 80er-Jahren in Deutschland eine Bewegung gestartet hat, dass alle und vor allem Frauen mehr Rad fahren sollten. Damals wollten die Frauen allerdings erst mal das Recht haben, Auto fahren zu dürfen, so wie die Männer. Sie wollten nicht schon wieder verzichten. Und aus dieser Logik heraus, könnte man das Fahrradfahren auch anders darstellen.

Neue urbane (Mobilitäts-)Konzepte

Ich versuche immer, ganzheitlich zu denken und gleichzeitig aber unser System disruptiv umzubauen. Momentan sind unsere Städte sowie unser gesamtes System vom Auto hergedacht und gestaltet und dort müssen wir anfangen, umzudenken. Und dort möchte ich auch nicht mit dem Fahrrad anfangen, sondern in erster Linie sind wir alle erst mal Fußgänger:innen. Also erst Fußverkehr, dann Radverkehr, dann öffentlicher Verkehr, dann Umweltverbund und dann kommt erst der Autoverkehr. Wenn wir das „Ganze“ disruptiv verändern wollen, darf nicht nur die Mobilität im Mittelpunkt stehen. Sondern ganz am Anfang müssen Fragen nach „Wie wohnen wir eigentlich?“, „Wie ist unsere Nahversorgung zum Einkaufen?“, „Wie sieht die Versorgung von älteren und kranken Menschen aus?“, „Wie gut ist die örtliche Kinderbetreuung?“ usw. gestellt werden. An diesen Fragen sollte und muss sich unser Mobilitätssystem orientieren. Es geht mir also nicht darum, alle Autos zu verbannen, sondern die Aufenthaltsqualität innerhalb des urbanen Raumes zu steigern. Das heißt wir müssen auch die öffentlichen Straßen und Plätze neu denken. Wir können nicht an jeder Ecke immer nur „parkendes Blech“ sehen. Die Parkfläche für Pkw nimmt in Berlin das 17-Fache des Tempelhofer Feldes ein. Es gibt kein Menschenrecht, das besagt, dass jede:r vor der Haustür parken oder das jede:r überall mit dem Auto hinfahren darf. Der urbane Raum muss generell verkehrsberuhigter werden. Wir müssen es also schaffen, dass es schwieriger wird, überall mit dem Auto hinzufahren, da wir eigentlich die Möglichkeit haben, überall zu Fuß hinzukommen oder mit der Bahn und dem Fahrrad hinzufahren.

Die Frage nach dem Warum

Wir haben uns bisher immer nur gefragt, wie wir so schnell wie möglich von A nach B kommen. Aber das „Warum“ stand eigentlich nie zur Debatte. Durch die Corona-Pandemie haben wir persönlich, aber auch die Unternehmen, sehr viel dazugelernt und gemerkt, dass man nicht für jede Power-Point-Präsentation durch halb Europa fliegen muss. Ich möchte damit nicht sagen, dass wir uns jetzt nur noch vor dem Bildschirm treffen sollten, aber eine bewusstere Entscheidung darüber, ob und wie wir diesen Weg zurücklegen, ist ein erster wichtiger Schritt.

Und wenn wir uns dafür entscheiden, muss auch die Frage gestellt werden, wie wir dieses „Mobilsein“ gesamtgesellschaftlich angenehmer machen können. Viele Autofahrer:innen genießen den eigenen, geschützten und leisen Raum in ihren Autos. Aber wie können wir es schaffen, dass wir diese Räume auch in die Öffentlichkeit transformieren? Seit 1990 haben wir quasi keine bis kaum Veränderungen in diesen Bereichen erlebt. Das sind über 30 Jahre, in denen wir es nicht geschafft haben, dem Druck der klimatischen Veränderungen etwas entgegenzuwirken. Allein die Antriebswende in der Automobilindustrie wird uns dabei nicht weiterhelfen. Auch mit E-Autos haben wir weiterhin das Platzproblem und wir haben damit verbunden auch ein riesiges Ressourcen-Problem, was z. B. die Produktion von Lithium-Ionen-Akkus angeht.

Wir müssen „akteurübergreifend“ agieren. Das heißt wir müssen die Verknüpfung zu anderen Mobilitätsanbietern suchen. Das kann z. B. auch ein Sharing-Anbieter für ein Auto oder ein Lastenrad sein. Darüber hinaus muss aber die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen wirtschaftlichen, kommunalen und Verwaltungsakteuren sowie zwischen der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft viel stärker ausgebaut werden.

Velokonzept – Mehr als nur eine (Fahrrad-)Agentur

Velokonzept ist eine Agentur mit dem Themenschwerpunkt Fahrrad. Unser Ziel ist es, das Fahrrad in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Die beiden Klammern dafür sind das Fahrrad, aber auch die Wirkung. Wir möchten einen „Impact“ haben. Und um das zu schaffen, haben wir drei Bereiche:

Der erste Bereich besteht aus größeren Veranstaltungen oder sogar Festivals, die wir veranstalten. Wir möchten dabei eine Plattform für alle bieten: Für die Industrie, aber auch für Endkunden:innen und Kulturinitiativen. Wir versuchen damit, eine softe Verhaltensänderung anzustoßen und hoffen, dadurch auch neue Zielgruppen für das Fahrradfahren zu erreichen.

Den zweiten Bereich widmen wir der Industrie, den Ministerien sowie der öffentlichen Hand mittels Fachmessen. Wir möchten dabei Netzwerke zwischen den einzelnen Akteuren schaffen, denn wir glauben ganz stark an die Kollaboration. Wir pushen momentan hauptsächlich die Themen Nachhaltigkeit und Innovation. Wie können wir also Fahrräder oder Fahrradteile nachhaltiger produzieren und wie können wir, jenseits der reinen Produktinnovationen, wirkliche Innovation vorantreiben und es schaffen, das Fahrrad auf eine komplette neue Ebene zu bringen?

Wir entwickeln gerade ein sogenanntes Velo-Lab, bei dem wir versuchen, unterschiedliche Hersteller zusammenzubringen, aber auch mit Kommunen zusammenzuarbeiten. Wir versuchen, neue Infrastrukturelemente zu designen oder neue digitale Services anzubieten. Ein Unternehmen allein kann das nicht schaffen, aber zusammen können wir die gemeinsame Sache voranbringen.

Als dritten Bereich haben wir innerhalb unserer Agentur die Beratung. Wir sind der Überzeugung, dass wir die Entscheider:innen auch kompetent beraten müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Dabei fokussieren wir uns eher auf die Kommunen und die Verwaltung sowie auf Unternehmen außerhalb der Branche. Dabei verfolgen wir das Ziel neuer Mobilitätskonzepte und von betrieblicher Mobilität. Das haben wir als gutes Einstiegsmittel identifiziert, denn der erste Weg den jede:r macht, ist der Weg von zu Hause zur Arbeit. Dabei nutzen wir natürlich auch das Modell des Dienstradleasings oder Ähnliches.

Großstadt vs. ländlicher Raum

Wir bei Velokonzept konzentrieren uns auf keinen bestimmten Bereich. Wir sehen allerdings den größeren Handlungsdruck in den Städten. Die Parkplatzsituation, der Verkehr im Allgemeinen und der Lärm stellen ein großes Problem dar. Wir müssen aber auch die Struktur in kleineren Städten oder sogar Dörfern verändern. Wir müssen Lösungen für Unternehmen und deren Mitarbeiter:innen im ländlichen Bereich finden. Oftmals fehlt eine grundlegende Fahrradinfrastruktur oder ein gut ausgebautes Sharing-System. Das rechnet sich aber vieler Orts noch nicht, daher wird es auch oft erst gar nicht angeboten. Hier müssen wir an die Infrastruktur ran und einen Kulturwandel voranbringen.

Ich komme z. B. aus einem kleinen fränkischen Dorf und die bestehende Infrastruktur für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen ist vorhanden. Aber trotzdem fährt jede:r mit dem Auto. Es ist halt bequem, ins Auto zu steigen und die kommenden vier Kilometer zum Supermarkt zu fahren, um dann den Kofferraum vollzuladen. Das könnte man aber genauso gut mit einem Lastenrad machen. Vielen Menschen fehlt aber die Motivation oder der erste Anreiz dafür. Fahrrad wird im ländlichen Raum eher als Freizeit- und Sportgerät betrachtet. In den meisten kleineren Städten oder Dörfern ist auch nicht viel Verkehr, das heißt man bräuchte vielleicht noch nicht mal eigene Fahrradwege, aber trotzdem ist die Hürde im Kopf zu groß bzw. die Gewohnheit bereits viel zu stark fortgeschritten.

Der größte gemeinsame Nenner

Die größte Herausforderung für mich ist, dass global betrachtet eigentlich alles viel zu langsam geht. Es ist z. B. gut und wichtig, Konferenzen zu veranstalten und unterschiedliche Menschen zusammenzubringen, aber bis diesen Konferenzen dann tatsächlich ihre Wirkung entfalten, dauert es eigentlich viel zu lange.

Um das zu beschleunigen, bräuchten wir soziale wie auch kulturelle Innovationen auf einer größeren gesellschaftlichen Ebene. Jede:r von uns fängt jetzt erst gerade an, ein tieferes Bewusstsein vom Klima zu entwickeln, aber z. B. gehen wir in der Fahrradindustrie noch nicht genug mit einer Stimme in eine gemeinsame Richtung. Es gibt kein übergeordnetes Konzept, was natürlich auch an unserem heutigen generellen Verständnis von Wirtschaft bzw. Wirtschaften liegt. Jedes Unternehmen versucht für sich allein, mehr Fahrräder auf die Straße zu bringen, aber es gibt keine übergeordnete Klammer. Die Automobilindustrie agiert da viel geschlossener und fokussierter. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Und auch hier muss eine Bewusstseinsveränderung stattfinden. Natürlich haben wir andere Budgets als die meisten Autohersteller, aber die Fahrradbranche sollte sich generell nicht so kleinmachen. Wir müssen das Fahrrad an sich auf eine neue Stufe im gesellschaftlichen Kontext bringen und dafür müssen die Wertigkeit und der Service vieler Hersteller auf ein ganz neues Niveau gehoben werden. Wenn man unterschiedliche Akteure zusammenbringt, kann man sich meistens immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Meine Herausforderung besteht auch darin, ein bisschen mehr als nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Wir müssen Dinge endlich anders machen, weil es auch sinnvoller ist. Ich schaue dabei immer gerne auf Dänemark. In Dänemark fahren die Leute gerne Fahrrad, weil es einfacher, schneller und bequemer ist. Das würde in Deutschland niemand sagen. In Deutschland sagen die Leute: „Ich fahre Fahrrad, weil es nachhaltiger und gut für meine Gesundheit ist und weil es nichts kostet.“ Es geht also nicht intuitiv in unsere Kultur mit ein, obwohl wir als die Erfinder des Fahrrades gelten. Aber in der Welt sind wir eigentlich nur als Autonation bekannt. Da klafft also eine riesige Lücke.

Aber wie schafft man so eine generelle Veränderung?

Die niederländische Königin nehme ich immer gern als Beispiel, da es für sie ganz normal ist, das Fahrrad zu benutzen. In Deutschland haben wir keine Monarchie mehr, aber jedes Jahr findet die Wahl zur „fahrradfreundlichsten Persönlichkeit“ statt. Die Gewinner sind immer nur Männer und meistens auch keine Menschen, die in ihrem Alltag wirklich viel Fahrrad fahren. Dass wir überhaupt eine derartige Wahl haben, um so eine Persönlichkeit hervorzuheben, sagt schon sehr viel über unsere generelle Beziehung zum Fahrrad aus.

Mini-Playback-Show im Aufzug

Ich bin definitiv keine Schönwetterfahrerin. Ich fahre eigentlich bei jedem Wetter. In den Niederlanden stellen sich die Leute kurz im Hauseingang, in der Bushaltestelle oder wo auch immer unter und warten, bis der Schauer vorbei ist. Es hat aber auch etwas mit gesellschaftlicher Akzeptanz zu tun. Ich habe mich z. B. schon so oft im Aufzug umgezogen und habe mich dabei wie in einer „Mini-Playback-Show“ gefühlt. Mittlerweile habe ich auch eine richtige Regenhose, da ich endlich eine gefunden habe, die ich schön finde. Damit kann ich endlich auch dem stärksten Regen trotzen. Aber ich kann auch Leute verstehen, die das nicht machen. Wir haben einfach nicht die Struktur dafür. Z. B. bist du in einem Hotel oder Bürogebäude direkt am Empfang, bevor du eine Möglichkeit hast, dich umzuziehen, falls du nass geworden bist. Die meisten Bewerber:innen, die sich bei uns bewerben, kommen z. B. nicht mit dem Fahrrad, da sie einigermaßen „okay“ aussehen wollen, das heißt nicht verschwitzt oder nass. Dabei sollte es eigentlich genau andersherum sein und diese Menschen sollten im Idealfall sogar bestärkt werden. Und ich weiß selbst, dass die Regenkleidung der meisten Hersteller nicht besonders schön oder stylisch ist. Auch hier gibt es einen enormen Aufholbedarf innerhalb der Industrie, derartige Produkte herzustellen, sodass mehr Leute auch bei schlechtem Wetter auf das Fahrrad steigen. Oder wir müssen flexibler werden in Hinblick auf das Wetter und uns erst nach dem nächsten Regenschauer treffen. Ich würde mich in diesem Bereich über mehr innovative und kreative Ideen freuen.

Fahrradfahrer:innen als Opfer

Die Aufrüstung mit Warnwesten, Reflektoren, Helmen oder sonstigen Ausrüstungsgegenständen für Fahrradfahrer:innen finde ich nicht wirklich zielorientiert. Die Grundhaltung ist hierbei nämlich, dass der oder die Fahrradfahrer:in immer das Opfer ist. Es geht dabei immer darum, das automobile System nicht zu stören. Dabei sollte das Thema gegenseitige Rücksichtnahme jedoch im Vordergrund stehen. Ich halte z. B. auch an, wenn ich sehe, dass da ein Lkw rückwärts irgendwo rein will. Im Idealfall kann ich ihm/ihr sogar dabei helfen, rückwärts reinzufahren. Das hat auch etwas mit ganz normaler Menschlichkeit zu tun. Und das muss auf beiden Seiten passieren. Sowohl bei Autofahrer:innen wie auch bei Fahrradfahrer:innen. Das Grundproblem dabei bleibt aber die generelle Infrastruktur sowie das Regelwerk, an welches sich alle halten sollten. Wobei ich tendenziell der Meinung bin, dass Radfahrer:innen in einigen Bereichen andere bzw. sinnvollere Regeln erhalten sollten.

Freiheit in Pluderhosen

Es gibt ja Leute, die fahren Fahrrad und machen dabei die ganze Denkarbeit. Die steigen dann einfach ab und schreiben ihren Artikel oder Ähnliches. So ist es bei mir eher nicht. Ich wehre mich auch dagegen, während des Fahrradfahrens Musik zu hören oder mich anderweitig abzulenken. Ich versuche eigentlich nur, meine Umgebung wahrzunehmen. Dafür hat das Fahrrad genau die richtige Geschwindigkeit. Ich achte z. B. immer darauf, wie viele Leute gerade unterwegs sind. Ich muss nicht jeden Tag punktgenau zur gleichen Uhrzeit irgendwo sein und somit sehe ich immer andere „Ströme“. Es kann z. B. einen riesigen Unterschied machen, was den Verkehrsstrom betrifft, ob man zehn vor oder nach 8 Uhr unterwegs ist. Generell verbinde ich ein großes Freiheitsgefühl mit dem Fahrrad. Ich bin von niemanden abhängig und es ist somit eine Form der Individualmobilität. Das ist eben auch der Grund für viele Autofahrer:innen. Aber um dieses Freiheitsgefühl mit einem Auto wirklich ausleben zu können, braucht man Platz und eine Infrastruktur, die das auch zulässt. In einer Stadt oder in einem urban verdichteten Raum hat man diese Freiheit also nicht. Das ist eine vorgegaukelte Freiheit.

Man könnte hierbei auch das Thema „Empowerment“ miteinbeziehen. Vor der Erfindung des Fahrrades war man mit ca. 3 km/h unterwegs. Mittlerweile kann man 30 km/h und schneller fahren, wenn man möchte. Es ist also eine Verzehnfachung des Radius, was ich persönlich mit meiner Muskelkraft erreichen kann. Dieses körperliche Empowerment lässt sich wiederum auch auf die Frauenbewegung übertragen. Dass Frauen heutzutage Hosen tragen, haben wir wohl dem Fahrrad zu verdanken. Zu der Zeit, als das Fahrrad erfunden wurde und in einer adeligen Schicht angesagt war, hatten Frauen immer noch Korsetts und Röcke zu tragen. Aber damit konnte man natürlich kein Fahrrad fahren. Und dadurch wurden sogenannte „Pluderhosen“ erfunden, mit denen die Frauen dann Fahrrad fahren konnten. Die Frauen haben sich also nicht nur kleidungstechnisch von ihrem Korsett befreit, sondern auch gesellschaftlich.

Women in cycling

Es gibt leider keine offiziellen Zahlen, aber ich würde schätzen, dass der Frauenanteil in der Fahrradbranche zwischen 15 bis 20 % liegt.

Viele Frauen in der Fahrradbranche, die in den letzten Jahrzehnten bereits dabei waren, sind oft in die jeweiligen Unternehmen hineingeboren und haben das Geschäft dann einfach übernommen. Man hat Frauen nicht unmittelbar gefördert in den letzten Jahrzehnten. Die Fahrradbranche ist eine recht kleine Branche und man kennt sich untereinander. Viele Jobs werden auch unter der Hand vergeben und man wechselt vielleicht von Fahrradunternehmen A zu Fahrradunternehmen B. Die Branche ist leider nicht so sehr offen für Input von außen. Vieles funktioniert über „Seilschaften“ oder so ein gewisses „Buddytum“. Die Frauen waren dabei aber immer recht isoliert.

2021 habe ich deswegen die Initiative „Women in Cycling“ mitbegründet. Ich dachte immer, dass sich die Frauen innerhalb der Fahrradszene untereinander kennen würden, aber viele tun das eben nicht. Wir haben dann eine „LinkedIn“-Gruppe gegründet, in der auf einmal über 1.000 Frauen aus Deutschland, Europa und der Welt angemeldet waren. Zudem haben wir auch noch ein Expertinnen-Portal aufgemacht, in welchem sich bereits über 500 Frauen angemeldet haben. Teilweise sind diese Expertinnen auch bereit, auf Konferenzen oder Ähnliches zu sprechen.

Es ist nämlich sehr schwer, diese Sichtbarkeit darzustellen. Es arbeiten zwar Frauen in der Branche, aber auf den Veranstaltungen und den großen Messen sind meist nur die Geschäftsführer anzutreffen. Es gibt zudem auch noch eine große Differenz zwischen männlichen und weiblichen Geschäftsführenden.
Zudem ist die Motivation, in der Fahrradbranche zu arbeiten, oftmals eine andere. Männer betonen oft, wie gerne sie Fahrrad fahren und wie geil es auf dem MTB oder Rennrad ist. Für Frauen liegt die Motivation aber oft eher im gesellschaftlichen oder im praktischen Bereich. Und das kommt umso mehr zum Tragen, wenn man als Hersteller andere Zielgruppen erreichen möchte. Denn was ist einfacher, als die zukünftige Zielgruppe bereits im eigenen Haus zu haben und aus diesem Erfahrungs- und Wissensschatz schöpfen zu können?

Es ist einfach wichtig, unterschiedliche Perspektiven sowohl unternehmerisch wie auch persönlich einzunehmen. Z. B. sollte man nicht nur an die sportlichen Radfahrer:innen denken, sondern auch an die älteren, jüngeren oder auch kulturelle Unterschiede miteinbeziehen.

Perspektivwechsel Fahrrad

Ich war das erste Mal mit vier Jahren in Berlin und habe da wohl zu meinen Eltern gesagt, dass ich hier mal wohnen werde. Das hatte ich dann natürlich wieder vergessen und kam eher durch Zufall nach Berlin, nämlich für mein Masterstudium. Am Anfang habe ich auch ziemlich gekämpft mit Berlin, denn davor habe ich in Regensburg gewohnt und dort ist die „Szene“ ziemlich überschaubar. Hier in Berlin ist alles sehr fragmentiert. Das Fahrrad hat mir dann aber geholfen, hier in Berlin anzukommen. Nachdem ich bereits in mehreren aktivistischen Klimabewegungen war und nach meinem Auslandssemester in den Niederlanden wollte ich mich stärker für meinen Kiez bzw. für Themen vor Ort einsetzen. Ich habe mich dann dem „Volksentscheid Fahrrad“ angeschlossen.

Dadurch habe ich nicht nur viele unterschiedliche spannende Menschen kennengelernt, sondern konnte die Auswirkungen meines Tuns auch direkt vor der Haustür sehen. Bis wir jedoch eine verkehrsberuhigte und autofreie Spielstraße am Lausitzer Platz in Kreuzberg oder eine neue Radinfrastruktur am Kottbusser Damm erkämpft hatten, war es ein langer und zäher Weg.

In Berlin ist man natürlich auch sehr gut an die öffentlichen Verkehrsmittel angebunden, aber mit einem Fahrrad lernst du eine Stadt noch mal komplett neu kennen. Am Anfang war ich auch nur mit Bus, Bahn und Straßenbahn unterwegs, aber zum Glück habe ich auch das Fahrrad für mich entdeckt. In der Corona-Pandemie haben auch sehr viele Freunde und Bekannte von mir das Fahrradfahren begonnen. Die haben Berlin also noch mal komplett neu kennengelernt und haben dabei auch einen Perspektivwechsel durchlebt. Sie haben auf einmal gemerkt, wie viele Autos tatsächlich unterwegs sind und wie schlecht die Fahrradinfrastruktur an vielen Orten noch ist und weshalb auch Konflikte zwischen Fahrradfahrer:innen und Autofahrer:innen entstehen.

Berlin ist nicht Deutschland

Ich mag die Freiräume und die Progressivität an Berlin. Hier lebt ein großer Teil an „progressiven“, aber auch „normalen“ Menschen. Dieser Mix ist sehr besonders. Generell wird in Berlin einfach sehr viel ausprobiert, was wir dann (hoffentlich) auch über die Grenzen Berlins etablieren können.

Ich denke da zum Beispiel an so was wie die ehemaligen Prinzessinnen-Gärten in Kreuzberg, also das Thema „Urban Gardening“. Aber auch der Mietendeckel wurde hier ausprobiert. Auf das Fahrrad bezogen ist da sicherlich die „Pop-up“-Infrastruktur zu erwähnen. Das war eine Idee, die einfach mal ausprobiert und schnell umgesetzt wurde und aus der sich auch teils richtige Fahrradwege entwickelt haben. Berlin ist aber auch ein sehr politischer Ort, da hier der Bundestag sitzt und somit die Nähe zu tatsächlichen Entscheider:innen da ist. Hier werden Diskussionen ganz anders geführt als im Rest der Republik. Und so wenig New York stellvertretend für die gesamte USA ist oder Paris für Frankreich steht, ist Berlin oft auch nicht repräsentativ für ganz Deutschland. Es gibt hier eine Vielfalt an Räumen von Kunst, Kultur, Szene und Politik, die hier zusammenkommt und diesen Austausch untereinander auch fördert. Berlin ist aber natürlich auch international und man hat hier schnell das Gefühl, dass man hier auch etwas bewegen kann.

Die Straße als Begegnungsort

Ich gehe super gerne zum Kanal in Neukölln bzw. Kreuzberg. Besonders die Ecke um die Admiralsbrücke finde ich schon irgendwie inspirierend. Besonders im Sommer ist hier ein besonderes Flair. Generell findet das Leben auf der Straße in Berlin noch etwas mehr draußen statt als in anderen Orten. Die Straße ist für mich ein Aufenthaltsort im öffentlichen Raum. Hier sollten viel mehr Bürger:innen-Versammlungen oder Ausstellungen oder Ähnliches stattfinden. Es sollte wieder mehr ein Begegnungsort werden. Aber dafür müssen wir uns zuallererst auch wohlfühlen und das ist an vielen Ecken Berlins leider noch nicht der Fall. Das Tempelhofer Feld ist für mich aber nach wie vor auch ein faszinierender Ort. Ich bin hier zwar nicht jeden Tag, aber jedes Mal, wenn ich dort bin, entdecke ich etwas Neues. Für mich ist es aber auch ein sehr starkes Transformationssymbol. Es war schließlich mal ein Flughafen und jetzt ist es ein Ort der kulturellen Vielfalt.

Eines Abends in Neukölln

Ich war eines Abends mit ein paar Freunden in einer Bar in Neukölln. Davor war ich in einer sehr intensiven Yogastunde und wir haben wirklich nicht viel getrunken. Aber irgendwann konnte ich einfach nicht mehr und bin komplett weggenickt. Ich konnte mich auch am nächsten Tag an nichts mehr erinnern. Ich wusste nur, dass ich mein Schindelhauer-Fahrrad vor der Bar angeschlossen hatte. Als ich am nächsten Tag mein Fahrrad abholen wollte, war es jedoch nicht mehr da. Ich ging in die Bar und fragte, ob sie vielleicht ein silbernes Fahrrad vor der Tür gesehen hätten. Sie verwiesen mich in den Nachbarraum und dort stand mein Ludwig angeschlossen. Der Kellner erzählte mir dann, dass meine Freunde den Fahrradschlüssel aus meiner Tasche genommen haben, das Fahrrad in die Bar gebracht und dort wieder angeschlossen haben. Das haben sie natürlich zuvor mit dem Barpersonal abgeklärt. Meine Freunde haben sich also zuerst um mein Fahrrad gekümmert, bevor sie mich nach Hause gebracht haben. Das Fahrrad wird also bereits als Teil meiner Persönlichkeit wahrgenommen. (lacht)

Der "Door Opener"

Schindelhauer steht für mich ganz klar für Design, Innovation und Wertigkeit. Die „durchschnittlichen“ Schindelhauer-Fahrer:innen sind vielleicht grundsätzlich designaffiner als ich. Ich bin kein durchgestylter, minimalistischer Design-Mensch. Ich bin eher praktisch veranlagt, aber ich habe mich sofort in das Design des Ludwigs verliebt. Seitdem hüte ich das Fahrrad wie meinen Augapfel und es ist mittlerweile wie eine Verlängerung von mir. Ich nehme es auch oft auf Konferenzen oder in Büros mit. Es ist ein guter „Door Opener“ für eine Konversation. Wenn ich ein ähnliches Fahrrad auf der Straße sehe, schaue ich auch immer genau hin, ob er oder sie auch ein Schindelhauer fährt. Und selbst dabei kommt man hin und wieder in eine Konversation.

Schindelhauer steht für mich aber auch in einem größeren Bezug. Dadurch, dass die Fahrräder ganz andere Zielgruppen und teils auch wichtige Entscheider:innen erreichen, kann man hier Zielgruppen in Verbindung mit dem Thema Fahrrad bringen, die vorher ausschließlich nur Auto gefahren wären. Die Fahrräder werden ja auch oftmals als Ferrari oder Porsche in der Fahrradszene bezeichnet und sind natürlich auch ein gewisses Statement. Aber sie können eben auch ein guter „Conversation Starter“ zwischen zwei sehr wichtigen politischen, wirtschaftlichen oder lokalen Akteuren sein.

Nie wieder zurück

Bevor ich mir meinen Ludwig in Alu Pur gekauft habe, hatte ich ein uraltes Fahrrad. Mit dem bin ich auch Strecken von 10 bis 15 Kilometer gefahren und dachte, dass das eigentlich ein super Fahrrad ist. Aber meine Kollegen:innen damals haben mich schon immer komisch beäugt, als ich ihnen davon erzählte.

Das Fahrrad ging dann irgendwann kaputt und ich durfte mir das alte Schindelhauer-Fahrrad meines damaligen Chefs ausleihen. Und danach konnte ich natürlich nicht mehr auf mein altes Rad zurück. (lacht) Ich hatte tatsächlich einen großen „Aha-Moment“: „So geil kann also Fahrradfahren sein.“ Davor hatte ich ja keinen Vergleich und kannte auch nicht den Unterschied. Ein Fahrrad wird oftmals nur als „Gebrauchsgegenstand“ angesehen, mit dem ich von A nach B kommen muss. Oftmals treffen die Käufer:innen dann eine zu schnelle Entscheidung, nach dem Motto: „Gib her und lass losfahren.“ Aber das rächt sich oftmals auf lange Sicht.
Ich fand aber auch die Geschichte hinter Schindelhauer spannend, da ich ja auch in Kreuzberg wohne. Ich finde diesen lokalen Bezug sehr wichtig, da ich jetzt eine Berliner Fahrradmarke unterstütze und damit Arbeitsplätze vor Ort sichere.

Durch diverse vorherige Events habe ich auch schon zwei der Gründer (Jörg Schindelhauer und Martin Schellhase) von Schindelhauer persönlich kennengelernt. Und das hat den persönlichen Bezug natürlich auch noch mal bestärkt. Obwohl das Fahrrad den Namen „Ludwig“ trägt, ist es für mich kein klassisches Herrenrad. Ich bin 1,79 m groß und für mich passt es einfach perfekt. Ich habe also nicht das Fahrrad gefunden, sondern das Fahrrad hat eher mich gefunden.

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